Wie ich Zitrone Rock wurde (Teil 1)

from gro​ß​e Terz zuerst (2018 Album) by Zitrone Rock

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lyrics

Zitrone Rock: Meine Zitrone-Rock-Werdung und was daraus wurde
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Einst ging ich sommers spazieren, da fuhr aus sehr heiterem Himmel urplötzlich ein mächtiger Blitz in die nahestehende Eiche ein, so dass auf den Innenseiten des geborstenen Stammes -kaum dass die Baumteile des entzweiten Riesen zur Erde gesunken waren- zu lesen stand: „Zitrone Rock, schreibe Lieder und tritt auf so oft Du nur kannst!“
Soweit die überlieferte Geschichte, die sich in sozialen Medien und auch im Rahmen von Kulturveranstaltungen hartnäckig hält. Doch es existiert noch eine andere Erzählweise.
Denn: Es war wirklich zu einem großen Teil einfach meine Traurigkeit, keine Band mehr zu haben. Das war schon länger der Fall gewesen, damals. Meine durch saisonal bedingte Erfolglosigkeit irritierten Bandkumpane hatten sich einfach aus dem Staub gemacht. „Is mir nix mehr! 400 Kilometer weit fahren und dann vor zehn Idioten zu spielen, die sich lieber unterhalten wollen! Da sitz ich lieber vorm Computerspiel. Ich bin raus – such Dir jemand anderes“, so sagten die ehemaligen Low-Budget-Hedonisten aus meiner Kapelle.
Konnte ich nie verstehen, so ne Haltung! Aufzutreten is doch immer die Lösung! Mir jedenfalls ewige Punkverpflichtung.
Also die Situation: Keine Band da. Nur Idioten um mich rum. Was also tun?! Erstmal ein klingender Name, dann ein Konzept basteln, eine Prise Viralmarketing schlafsandaugig verstreuen, und dann eulenspieglisch-pumuckelig auf die Bühne gehopst!
Als Jugendlicher hatte ich den Spitznamen „Zitrone“ in einer schwäbischen Kleinstadt von dem doppeltsoalten Chefpunker verpasst bekommen. Denn meine Kleidung war inklusive Brillen- und Haarfarbe ein strahlendes Gelb.
„Heilandsack, der hod ja olles gelb oh‘. Des isch ja ä Zidroooné!“, so der punchlinende Oberpunk von Gmünd. Ich nahm den Namen damals an wie eine glänzende Rüstung. Ich nahm ihn damals auch an als Ruhmbeschleuniger. In einer vor Spießigkeit miefenden Kleinstadt, noch dazu in einer schwäbischen, is man mit sowas im Nullkommanix eine stabile Marke. Ein Hoch auf die Provinz! Woanders muss man so viel bewegen, hier reicht einfach ein seltener Name und abenteuerlich-wagemutige Outfits. Und schon is man wer. Sie vergessen einem niemals etwas – Wiedererkennbarkeit auch nach aberwitzigstem Maskeradentum im Erwachsenenalter garantiert.
Und ich nahm den Namen „Zitrone“ jetzt also wieder an, als Alter-Ego-Ausweichmöglichkeit für den Fall von Begegnungen mit voyeuristischem Denunziantentum oder humorfreier Zeitgenossen. Und auch Begegnungen, bei dem es um die kommenden Aufbaukämpfe in der lokalen Liedermacher- und Kunstszene gehen sollte. Yeahletsgo! Endlich ein klingender Name für die andauernden Selbstüberholungsversuche in und um Braunschweig, damals, 2011. Das Entlastungsventil meiner Psyche hatte nun einen Titel, der unvergessbar, wiedererkennbar und eindeutig ist. Keine Ahnung, aber voll drauf los! Johnny B. Good Zitrone.
Ja, der Name muss fetzen, muss einsägen. Soll hängenbleiben! Und für das Nachdenken über so wichtige Fragen bei anstehender Selbsttaufe empfahl sich eine Blitzreise in die eigene Vergangenheit.
Meensch! Ich hatte ja von der Punkkapelle „Mike Rock and The Rollers“ das „Rock“ als Nachname übrig. Bandnamen mit „…and The…“ oder noch besser „…and His…“ fand ich schon immer super, und viel später würde es ja mit „Zitrone Rock and his Crazy Buzz Babes“ so weit sein. Zuvor aber ersmal icke. Es kommt mir wie durch Schleier in Erinnerung, wer zuerst mich auf diesen Laden gebracht haben mag: Die legendäre DRK Kaufbar in Braunschweig.
Der EiKo e.V. organisierte damals (2010/2011) schon viele Jahre lang monatlich einen Musikabend, der einfach für jeden offen war, der dem Proberaummief entsteigen und Selbstkomponiertes zum Besten geben wollte.
Die Idee mit selbstbesprühten T-Shirts hatte ich mir aus Punkbüchern, von echten Punks und von den Manic Street Preachers abgeguckt, deren wilde live-Energie ich als 16-jähriger im Vorprogramm der Toten Hosen erlebt hatte. Das war 1992 in Stuttgart. Eigene Sprühmodeschöpfungen hatte ich seit 1991 im Programm, hatte also schon eine 20-jährige Erfahrung im Bereich Textilverschönerung und Selbstmarketingprobiererei.
Teppichcutter aus dem 1-Euro-Laden, dann Ritze Ratze in eine alte Pappe, Buchstaben ausschnibbeln; T-Shirt drunter, BAUFIX Buntlack darüberverduftet. Fertig ist die individuelle Straßenmode, billig produziert, sehr Punkrock, und vor allem geht’s schnell und individuell. Kleinserien sind bei „Zitrone Moden“ nicht die Exklusivlinie, sondern der Standard.
Dann noch Lederjacke drüber, vor einer ramonesigen Backsteinwand mit einem „amazing“-T-Shirt und einer 1-Euro-Sonnenbrille ein erstes Werbe-Selfie geschossen, fertig. Die Lieder „Popstar“ und „Wilde Welt“ von den Ärzten klingen mir feist und laut im Hintergrund mit, und ich dockte endlich wieder so richtig volle Pulle an. An meine schon vergilbend gefühlte Jugendfrische. Angedockt! An kindliches Vergnügen bei anarchischem Schabernack und angedockt an meinen puren, echten, reinen, authentischen und zutiefst ehrlichen künstlerischen Kern. Yeeeaaaaaaajaaa! Ich bin ich –und zwar sehr.
Der Name also stand, das Konzept eigentlich sehr simpel und automatisch vorhanden.
Das erste große Auftrittsdatum in einem bunten Liederabend mit noch 4 anderen Unbekannten Künstlern stand lange schon fest, darum habe ich mir es auf ein T-Shirt gesprüht und im Türkei-Urlaub hat mich Frau Rock damit fotografiert: 11.12.2011 - oder so, nur das Datum in schwarz auf einem gelben Hemd, und sonst garnix. Internationale Gäste fragten mich nach diesem Datum in der Hotelanlage, es war ein Spaß, mir immer wieder neue Gründe für diese Datumssprühung zurecht zu erfinden.
Ich hatte mit sehr wenig Mitteln wieder einmal sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. „Gute Idee“, dachte ich mir. Und machte nach dem Urlaub munter weiter in Sachen Werbetrommelrühung und Fettaufdiepaukehauung. Sogar die Stadt Braunschweig hatte meine frohen Werbebotschaften der fiktiven Promotion-Agentur „Erkan Özkan Musikermanagement - EÖM“ geschluckt und die Super-News flugs auf die Stadt-Page gepostet. Vermutlich spielten mir die Arbeitsüberlastung der Verwaltungsmitarbeiter oder die durch intensive Unterforderung erzeugte Lust auf Verrücktes in die Hände. „Leute, wichtig wichtig wichtig: Einzigartiger Liedermacher haut aufs Auge und gibt sich nun endlich live in unserer schönen Löwenstadt die Ehre! Geht alle hin und gebt ihm euer Geld!“ So ähnlich haben die Inkognito-Punker in den Amtsstuben für mich den roten Teppich ausgerollt.
Der Auftritt war ein Riesenerfolg. Ich wurde als originell abgefeiert, viele sponten eingestreuten Wendungen, Witze und Verblüffende Einwürfe zogen die Leute in Bann, Geschichten, kuriose Bühnenakrobatik und einfache Lieder erfreuten Braunschweig im Winter 2011. Die Herzen flogen mir nur so zu, es war mein Durchbruch. Im Programm hatte ich meine Lieder „Ich hab mich getraut“, „Yeahletsgo“, „Große Terz zuerst“, „Keine Ahnung aber voll drauf los“ und noch ein paar andere. Aus heutiger Sicht erstaunlich viele Songs aus meinen alten Punkbandzeiten in den 90ern. Der Mut zum Erschaffen völlig neuer, pfiffigerer und aktuellerer Texte kam erst später, als ich die Musik mehr und mehr als Unterstützung des Textes verstand und diesem den Vorrang meiner konzentrierten Schaffensliebe gab. Geholfen haben die Songs von Udo Lindenberg und Reinhard Mey. Und viele persönliche Freunde aus der Musikerszene von Braunschweig, allen voran die unglaubliche meike koester.
Schepper, legendärer Solobassist an der Oker, bot an, kostenfrei die Mechaniken an meiner Easyway-Gitarre zu erneuern, denn das ständige Verstimmen hielt er zwar für einen absichtlichen Bühnen-Gag, aber es tat ihm einfach sehr leid, und auch ich kam mit meinem Bühnenwitz zu diesem Thema an meine Grenzen. Ich lernte an diesem Premieren-Abend die Leute vom EiKo e.V. kennen, trat kurz darauf selbst dem Verein bei und habe viele Freunde gewonnen.
Und was ist draus geworden?
Wie es bei uns der am Strande der Bürgerlichkeit Gestrandeten nun mal ist, bügle ich inzwischen die Wäsche im Hause Rock. Und das immerhin in einer verblüffend hohen Qualität, wie mir die Generation 70plus regelmäßig bestätigt. Fenster blitzblank putzen, Badewanne durch regelmäßiges Scheuern gepflegt halten, sogar gelegentliche Näharbeiten. Und natürlich einkaufen, aufräumen und Schuhe putzen! All das beherrsche ich mittlerweile recht gut, und der Rockladen zu Hause bleibt in Schuss. Ach ja. „Obwohl es doch eigentlich eine typische Frauenarbeit ist“ – so raunt es noch immer Schwiegermutter gelegentlich hinterdrein, wenn mal eine kleine Wertschätzung aufblitzt. Eine andere Generation…
Wir sind halt Mittelschicht, zwei Erwachsene, zwei Kinder, mit allem Pipapo, was einen da so in den Vierzigern mit Nachwuchs zwischen zehn und fünfzehn Jahren so umtreibt und beschäftigt.
Brotboxen gesund füllen, nicht zu viel Medienkacke, gutes Gespräch, Bewegung, gesunder Schlaf, genug Einfachdasein. Ab und an auch mal ein Kind zum Sport oder zur Kultur kutschieren. Bei uns ist es das Wandern und Kanufahren, was immer mal in die Freizeit reinpasst und zusammen Freude bringt. Für den Alltagsgebrauch ist es der Kampfsport, zu dem ich die Kinder und mich selbst immer wieder hinmotorisiere und auch natürlich emotional begleite. Unsere Jüngste war neu und konnte sich den Gürtel noch nicht richtig binden. Um ihr den Weg in die Gruppe etwas zu bahnen und sie zur Kontaktaufnahme zu ermutigen, murmelte ich ihr im Umkleideflur zu: „Frag doch mal die eine da drüben, bei der sitzt der Gürtel ja richtig gut.“ Die Kurze also hin, schubst sich selbst toll mutig über die Angstschwelle und legt ihr Anliegen dar.
Die Perfektbinderin riecht den pädagogischen Braten eines vom Vater geschickten Kindes zum Sozialprobierstückchen, saust an der Kampfaspirantin vorbei, und baut sich vor mir auf.
„Ja, Herr Rock. Mein Vater ist ein Ingenieur. Meine Mutter ist eine Rechtsanwältin. Da komme ich wohl aus einem guten Elternhaus und kann auch einen guten Gürtel binden!“
Steht da doch dieser Ichstärke-Klops drahtig vor mir stramm, schon sehr dolle vorabversichert der nötigenfalls Wegfreikaufung durch die Alten. Überbordende Obrigkeit in jedem Wimpernschlag und selbstverständlicher Führungsanspruch schon im kindesaltrigen Aussprechen der eigenen Kompetenzen. So steht sie vor mir. 50 Kilo, die mich sprachlos machen.
Ich bin zwar auf dem besten Weg, ein alter Sack mit Punk-„Vergangenheit“ zu werden, aber ich bin zum Glück gut genug imprägniert für solche Anwürfe im Vorleben von Lebensfeindlichkeit und Anti-Freude.
Die Funken der schönen Götter sind reichlich auf mich niedergeprasselt, und so bin ich voller ruhig-vergewisserter Selbstverständlichkeit. Habe mein Leben bis hierher vollgepumpt mit Erfahrung und Vielfalt. Antriebe waren die Angst vor Versäumnis und die große Freude Leidenschaftlichkeit im wuchtigen Hineinbrechen in immer wieder neue Erfahrungen während meiner immensen Selbstüberholungsversuche.
Ich bin ich – und zwar sehr. Zitrone Rock.
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www.zitrone-rock.de

credits

from gro​ß​e Terz zuerst (2018 Album), released December 1, 2018

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Zitrone Rock Berlin, Germany

Zitrone Rock ist Experte fürs Wohnzimmerkonzert und Liedermacher aus Berlin.
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Im Gepäck hat Zitrone Rock allerlei verrückte Songs und
Storys aus seinem bewegten Leben.
Dabei bekommt das Publikum Biografisches und auch frei
erfundene Geschichten aufgetischt.
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